Es ist schon irgendwie seltsam: Wenn man irgendeine Zeitschrift aufschlägt zum Thema „Schöner Wohnen“, dann sieht man oft große Wohnungen und Häuser, aber wenn man sich auf dem Immobilienmarkt umschaut, dann werden die bezahlbaren Wohnungen immer kleiner. Neulich war ich bei der Tochter einer Freundin, die seit einem Semester studiert … und ich hätte in der Studentenbude Platzangst bekommen. Das geht mir auch manchmal bei Ikea ähnlich, wenn ich sehe, wie die Musterzimmer mit allem möglichen Kram angefüllt sind und wie jedes Eckchen ausgenutzt wird.
Da ist es nicht verwunderlich, wenn sich mancher in seiner Wohnung nicht wohl fühlt, sondern eher als Verwalter in einem Lagerraum. Aber auf der anderen Seite wird die Wohnung als Rückzugsraum immer wichtiger, auch weil öffentliche Räume immer mehr kommerzialisiert und reglementiert werden. Früher hatten wir eine Kneipe, in der man den halben Tag sitzen und lesen konnte … man hat sich ein Getränk bestellt und daran stundenlang festgehalten. Die Kneipe heißt jetzt „Bar“ und hat einen neuen Eigentümer: Wenn man nicht regelmäßig etwas konsumiert, kommt die Bedienung und stellt fest, dass der Tisch jetzt für andere Gäste gebraucht wird, obwohl fünf andere leer stehen. Ja, ich verstehe das, denn die Besitzer müssen auch von irgendwas leben. Trotzdem sorgt das dafür, dass man sich dort nicht mehr wirklich wohl fühlt. Und das gilt auch für viele andere Bereiche. Manche Bekannte fühlen sich aufgrund der Krisenberichte und der scheinbaren Terrorbedrohung in der Öffentlichkeit oder an belebten Plätzen nicht mehr wohl. Der Arbeitgeber meines Manns beginnt, die individuelle Gestaltung des Arbeitsplatzes zu untersagen: keine persönlichen Fotos, Pflanzen und anderen Gegenstände mehr. Im Idealfall sollen die Arbeitsplätze am Ende des Tages so aufgeräumt sein, dass morgen jemand anderer dort arbeiten und man selbst woanders arbeiten kann. Es gibt eben immer weniger Plätze, an denen man einfach „man selbst“ sein kann.
Wenn aber Wohlfühlen am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum immer seltener ist, wenn selbst Parks überlaufen sind und man nirgends mehr richtig entspannen kann, dann ist es umso wichtiger, dass die eigene Wohnung zum Rückzugsort wird, an dem man sich entspannen, Kraft tanken und seinen Interessen nachgehen kann. Das bedeutet auch, Freunde einladen oder einfach mal rumgammeln zu können. Die Wohnung als der eigene Kokon, in dem man sich von der Außenwelt abschotten und den man nach eigenen Vorlieben gestalten kann: Cocooning. (Oder, wie man früher gerne gesagt hat: My home is my castle!)
Der Begriff Cocooning kommt aus dem Tierreich: Die unscheinbare Raupe verpuppt sich und baut sich ihren Kokon. Dort regeneriert sie, tankt Energie und wird zu einem farbenfrohen Schmetterling. Fühlen Sie sich eher als Raupe oder als Schmetterling? Schützt Sie Ihr Kokon, Ihre Wohnung, vor der Außenwelt und hilft Ihnen bei der Regeneration?
Interessant (und bedenklich) finde ich aber diese entgegengesetzten Tendenzen: Jeder träumt von dem riesigen Landhaus, dem großen Wohnzimmer mit Blick aufs Meer oder der eigenen Sauna. Die Realität sieht häufig aber ganz anders aus – und wir wissen, dass sich an den Umständen vermutlich wenig ändern wird. Statt aber nun unseren kleinen Kokon so zu gestalten, dass er der ideale Rückzugsort für uns ist und dass wir uns darin wohl fühlen, häufen wir nur immer mehr Dinge an und fühlen uns in unserer eigenen Wohnung unwohl und als Verwalter. Und dann träumen wir davon, wie es sein könnte, wenn alles ganz anders wäre.
Was ist Ihr persönlicher Rückzugsort? Erfüllt er seine Funktion?