Vor ein paar Tagen war ich bei meiner Mutter und wir tranken Kaffee. Dabei berichtete sie mir von einer Bekannten, die kürzlich ins Seniorenheim gezogen ist, nachdem ihr Mann verstorben war und die Wohnung für sie alleine zu groß und zu anstrengend wurde.
„Ich musste da an dich und die Dinge-Diät denken, Inge. Martha ist ja jetzt auch die älteste aus unserer Runde, aber trotzdem.“ Nun ist es selten, dass meine Mutter mit mir über die Dinge-Diät spricht. Und dann auch noch zu so einem Anlass. Mir schossen gleich verschiedene Gedanken durch den Kopf, was meine Mutter mir wohl mitteilen wollte. Aber ich habe versucht, jede aufkeimende Panik zu unterdrücken.
Meine Mutter fuhr fort: „Beim Umzug musste sie ja die Wohnung ausräumen und hat jetzt nur noch ein Zimmer. Von der großen Wohnung, du kennst sie ja, da ist so viel auf dem Sperrmüll gelandet. Das kann man sich kaum vorstellen. Martha dachte, die Kinder würden sich über manches freuen, aber die haben auch keinen Platz. Und wohl auch kein Interesse an dem alten Zeug. Sie ist jetzt ganz deprimiert, was sie alles aufgeben musste. Da habe ich an das gedacht, was du immer sagst. Vielleicht sollte man sich doch regelmäßig von alten Sachen trennen.“
Puh. Mir fiel erstmal ein Stein vom Herzen, denn ich hatte eher mit anderen Verläufen des Gesprächs gerechnet.
Was folgte, war ein interessantes Gespräch mit meiner Mutter, das in einer interessanten Aussage gipfelte, warum viele Eltern Dinge behalten, auch wenn sie sie selbst nicht mehr nutzen. Sie erzählte, dass viele ihrer Bekannten sich der gleichen Illusion hingeben:
Irgendwann werden das die Kinder mal zu schätzen wissen.
Zwar habe ich keine Kinder, aber ich kann mir gut vorstellen, was sie meint und wie es jemandem geht, der erkennen muss, dass das eine Illusion war. Meine Mutter meinte, es sei für manchen vielleicht besser, das nie erkennen zu müssen. Ich verstehe, was sie damit sagen will. Aber wir sind überein gekommen, dass es noch besser ist, rechtzeitig darüber zu sprechen – bevor falsche Erwartungen und Hoffnungen entstehen. Und bevor der Besitz, den man nur für die Nachwelt verwaltet, selbst zur Belastung wird.
Wir haben dann die Gelegenheit genutzt und über ein paar Dinge gesprochen, die ich irgendwann sicher nicht brauche. Spitzendeckchen beispielsweise. Und es war gut, dass wir dieses Gespräch geführt haben.
Zuhause hat mich das Thema aber nicht losgelassen. Und ich glaube, dass die Illusion, von der meine Mutter sprach, einfach die logische Fortführung einer anderen Illusion ist, die wir gerne nutzen, um an Dingen festzuhalten. Und diese Illusion lautet:
Demnächst könnte ich das ja nochmal brauchen/verwenden.
Gemeinsam wird daraus ein Muster: Erst trennen wir uns nicht von eigentlich unnötigen Sachen, weil wir selbst sie ja nochmal nutzen könnten. Und dann begleiten sie uns so lange, haben so lange Zeit in unserem Besitz überstanden und wir müssen uns irgendwann doch eingestehen, dass wir sie doch nicht genutzt haben. Aber dann ist die Investition von Geld, Zeit, Platz und oft auch emotionaler Last schon so groß, dass wir uns kaum noch davon trennen können. Und wir verändern die Illusion: Wenn wir es nicht brauchen, dann eben unsere Kinder und die Nachwelt.
Irgendwer wird es schon zu schätzen wissen, oder?
Oder auch nicht.