Es war ein wenig Arbeit gewesen. Und manchmal ging es auch um unterschiedliche Überzeugungen. Aber jetzt, am Ende des Tages, standen die beiden Frauen zusammen und hatten beide das Gefühl, etwas vorangebracht zu haben. Vor ihnen stand eine Klappkiste auf dem Tisch mit zahlreichen Vasen und Gefäßen – fertig zum Abtransport. „Vielleicht hätte ich das wirklich schon früher mal machen sollen“, sagte die ältere zum Abschied. Und die jüngere schmunzelte, erwiderte aber nur: „Gute Nacht, Mutti.“
Vielleicht haben Sie es schon erraten: Die jüngere der beiden war ich. Und die ältere meine Mutter. Vergangene Woche war es so weit: Meine Mutter, die unserer Dinge-Diät immer etwas skeptisch gegenüberstand, bat mich, ob ich ihr beim Aussortieren ihrer Vasen helfen könne. Alleine fiele es ihr schwer, sich von den Sachen zu trennen. „Aber Inge – nur die Vasen.“
Klar sagte ich zu.
Und damit sie es sich nicht anders überlegt, habe ich gleich Nägel mit Köpfen gemacht. Also bin ich wenige Tage später hin und wir haben erst mal Kaffee getrunken. Und gleich wurde ich nochmals ermahnt: „Inge, du weißt: nur die Vasen.“
Okay, es ist deine Wohnung. Nur die Vasen. In Gedanken sah ich mich schon in 30 Minuten wieder auf dem Heimweg. Dann ging es auf zum Vasenfach. Tiefer Schrank, unteres Fach. Also bin ich mal auf alle Viere geklettert und habe rausgeholt, was mir begegnete. Darunter nicht nur Vasen, aber doch verblüffend viele in allen erdenklichen Formen und Materialien. Manche waren nett anzusehen, aber ziemlich unpraktisch. Andere hatten gelb-braune Flecken, waren angeschlagen oder auch so gar nicht mehr zeitgemäß. Alles, was keine Vase war, habe ich pflichtschuldig wieder zurückgestellt. Und dann haben wir uns den etwa 15 bis 20 Vasen gewidmet.
Bei zwei oder drei war meine Mutter mit mir einer Meinung, dass die wirklich nicht mehr ansehnlich sind. Also wurden sie aussortiert. Aber der Rest? „Ich finde wirklich, dass die noch hübsch ist.“ „Ja, aber wann hat Papa dir zum letzten Mal langstielige Rosen gekauft? Und du hast drei für solche Fälle.“ Das führte dann zu Diskussionen, dass es ja immer mal eine Gelegenheit geben könnte. Zu ihrem Geburtstag vielleicht. Oder zum Hochzeitstag.
Also haben wir drei hohe, schmale Kristallvasen zur Seite gestellt. Und so ging es weiter. Mir wurde immer rätselhafter, was ich eigentlich hier sollte. „Sag mal, wann hast du eigentlich überhaupt zum letzten Mal Schnittblumen bekommen? Du wünschst dir doch immer Orchideen für die Fensterbank.“ „Ja, da hat man ja auch länger was davon. Aber das heißt ja nicht, dass man keine Vasen braucht.“ „Aber gleich so viele? Ich dachte, ich soll dir beim Ausmisten helfen?“ „Sollst du ja auch. Aber vielleicht gucken wir erst mal weiter …“
Weiter? Mir schwante, was kommen würde. In der nächsten halben Stunde lief meine Mutter mit mir durch die ganze Wohnung und bat mich, aus allen möglichen Ecken Vasen hervorzuholen. Kugelrunde, quaderförmige, dreieckige, welche aus blauem Glas (an die ich mich noch aus meiner Kindheit erinnerte), welche aus Keramik, andere aus billigem Plastik. Zum Schluss waren es über vierzig Gefäße, bei denen ich mir nicht einmal sicher war, dass es sich bei allen ursprünglich um Vasen handelte. Und die Ecken, aus denen ich sie hervorkramte, waren so versteckt, dass die meisten wahrscheinlich seit zehn Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hatten.
„Sag mal, die meisten hast du doch–“ „… seit zehn Jahren nicht mehr genutzt. Ja, du hast recht. Jetzt, wenn ich das alles so sehe, finde ich es auch ein wenig viel.“ Ein wenig? Ich glaube, ich besitze zwei Vasen. Und notfalls würde ich eine leere Flasche als Blumenvase zweckentfremden.
Tatsächlich ging allerdings in meiner Mutter jetzt eine Veränderung vor, nachdem sie alle Vasen so aufgereiht vor sich sah. Sie begann von selbst, einige zu den wenigen aussortierten zu stellen. Und dann begann sie, die restlichen nach Stil und Funktion zu gruppieren.
Nachdem das Eis einmal gebrochen war, fiel es uns dann recht leicht, aus den verschiedenen Gruppen jeweils die besten und schönsten auszuwählen. Es war die plötzliche Übersicht und der Berg an Vasen, die vor ihr standen, die meine Mutter zum Verzicht brachte.
Natürlich hegte meine Mutter noch immer bei manchen Vasen, die ich ohne Zögern aussortiert hätte, Zweifel, ob sie die nicht doch behalten solle. Und ein paar Stücke behält sie nicht wegen der Funktionalität, sondern weil sie daran hängt. Das ist auch völlig okay.
Zum Schluss haben wir uns darauf geeinigt, die Zahl der Vasen in etwa zu halbieren. Und ich habe ihr gezeigt, dass sie die Vasen, die bleiben, viel übersichtlicher anordnen kann. Ihre „Geheimverstecke“ bleiben jetzt leer und bieten Platz für anderes. Oder mehr Ordnung. Derweil waren aus meinen 30 Minuten fast zwei Stunden geworden. Und zugegeben: Manche der Vasen, die wir aussortiert haben, sind durchaus hübsch. „Vielleicht kannst du sie ja gebrauchen …“ „Mama, sicher nicht. Aber ich kümmere mich gerne um sie.“ Also habe ich alle ausrangierten, aber hübschen und heilen Vasen in meine Plastikbox gepackt und den Rest gleich zum Müll gegeben. Petra nimmt sie mit zum Flohmarkt, wenn es wieder wärmer ist. ––– Und ich fahre morgen wieder zu meiner Mutter. Und bringe ihr einen Blumenstrauß mit.
Eigentlich ist das alles ganz typisch: Solange wir den Kram in Schränken verstauen (und möglichst noch quer über die Wohnung verteilt) kommt uns das alles nicht so wild vor. Und wenn wir ein Teil in die Hand nehmen, um uns davon zu trennen, dann fehlt der Vergleich und wir neigen dazu, die Sachen eher zu behalten. Wenn aber plötzlich alles auf einem Berg vor uns liegt, dann fällt uns auf, was alles doppelt und dreifach ist. Und dann fällt auch das Loslassen ein wenig leichter. Zumal, da es jetzt schon mal draußen ist und alles, was bleiben soll, wieder weggeräumt werden muss.
Überlegen Sie mal, was Sie alles in Schränken verstecken, dass doppelt, dreifach und vierfach vorhanden und vielleicht sogar defekt ist …