Kürzlich saßen wir mal wieder zusammen und haben unsere Urlaubserlebnisse ausgetauscht. Dabei kam Petra auf ein interessantes Thema: Was hätten wir in unserem Leben anders gemacht, wenn wir den Kenntnisstand von heute hätten? Anderer Job, andere Partner, andere Wohnorte …? In der Diskussion zeigte sich, dass es nicht so sehr darum ging, konkrete Entscheidungen zurücknehmen zu können, sondern mehr um die generelle Frage, wie man mit seinem Leben und den Ressourcen, die einem zur Verfügung stehen, umgeht. Und dass man oft erst im Nachhinein sieht, wo man sich selbst keinen Gefallen getan hat, weil man sich selbst neuer Möglichkeiten und Entwicklungen beraubt hat.
Ich habe dann später auch nochmal ein Gespräch mit meiner Mutter zum gleichen Thema geführt. Herausgekommen ist die folgende Liste mit fünf Punkten, die die meisten von uns heute tun (oder vielleicht besser: vernachlässigen) und die sie vermutlich irgendwann in den kommenden 10 Jahren bereuen werden, weil es auch anders gegangen wäre, aber die Zeit haben ungenutzt verstreichen lassen:
- Sie nehmen sich zu wenig Zeit für sich. Klar, das macht eigentlich jeder. Und wir haben alle gute Ausreden dafür: Stress, zu viel zu tun, kein Geld, „Sachzwänge“ … und wenn dann doch mal Zeit wäre, sind wir oft zu faul, uns von der Couch zu wälzen, oder haben ad hoc keine Idee, was wir für uns tun könnten. Aber diese Zeit können wir nicht zurückholen. Und wir waren uns ziemlich einig, dass wir uns viel früher und viel häufiger hätten Zeit für uns nehmen sollen – vielleicht auch manchmal auf Kosten der Hausarbeit oder der Karriere. Dazu ist aber natürlich auch wichtig, sich vorab Gedanken zu machen, wie man die Zeit nutzen könnte und möchte, beispielsweise mit einer Bucketlist.
- Sie nehmen sich zu wenig Zeit für Freundschaften. Freundschaften sind auch so ein „Zeitproblem“. Und sehr oft werden es dann fast unmerklich immer weniger, die uns bleiben. Manchmal bedauere ich es, keinen Kontakt mehr mit Freundinnen aus der Schul- und Studienzeit mehr zu haben. Und die anderen sahen das ähnlich. Ich habe auch mit meiner Mutter gesprochen und sie meinte, dass ein gewisses Gefühl von Einsamkeit im Alter noch mehr zunimmt, da man nicht nur den Kontakt zu vielen früheren Freunden verliert und sich nicht mehr aktiv in Vereinen und Gruppen beteiligt, sondern auch, weil die paar verbliebenen irgendwann „wegsterben“. Petra will jetzt einfach mal ein paar Namen im Internet raussuchen und sich bei alten Bekannten mal wieder melden. Vielleicht sollte ich das auch tun … und Sie ebenfalls?
- Sie sorgen nicht richtig vor. Natürlich sorgen Sie gefühlt vor, aber in zehn Jahren werden Sie feststellen, dass Sie für viele Fälle vorgesorgt haben, die nie eingetreten sind. Und gleichzeitig nicht für die Fälle vorgesorgt hatten, die wirklich davon profitiert hätten. Vor allem aber kam bei unserer Diskussion zutage, dass wir oft sehr materiell und finanziell an das Thema Vorsorge herangegangen sind – und uns dabei auf die Versprechen von allen möglichen Anbietern verlassen haben, von Banken und Versicherungen über Ärzte bis hin zu den Werbeversprechungen. Aber was wir dabei vergessen haben, sind die eigenen Fähigkeiten: Mein Vater hat sein Häuschen noch mit eigenen Händen erbaut, ich kann nicht mal ein paar Fliesen an die Wand bringen. Sich darauf zu besinnen, dass Vorsorge auch und gerade eine Investition in die eigenen Fähigkeiten bedeutet, das fällt uns oft erst spät ein.
- Sie kennen die Welt nicht. Petra erzählte, dass sie bei Verwandten war und die sechsjährige Tochter gefragt hatte, wozu ein bestimmter Knopf auf einer Fernbedienung sei. Keiner konnte das so richtig beantworten, weil keiner die Funktion jemals verwendet hatte. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir wissen eigentlich fast nichts von der Welt, erlauben uns aber zu allem ein Urteil: Wir wissen nicht, wie genau das Abwassersystem funktioniert, glauben aber, dass wir Wasser sparen sollten. Wir wissen nicht, welche Schicksale Flüchtlinge hinter sich haben, erlauben uns aber, manche als Kriminelle und/oder Wirtschaftsflüchtlinge zu betrachten. Wir wissen nicht, wie es sich in Afrika lebt, und wenn wir hinfahren, dann in eine Lodge zur Safari, was dann unser gesamtes Bild eines Kontinents prägt. Und wir waren noch nie als Fußballtrainer aktiv, wissen aber genau, was wir anders gemacht hätten, damit die deutschen Herren in Rio nicht nur Silber, sondern wie die Damen Gold geholt hätten. Okay, die Beispiele sind willkürlich. Aber Tatsache ist, dass wir oft in einer Blase leben, ohne es uns einzugestehen. Irgendwann kommt dann vielleicht die Einsicht, dass es doch anders war – aber oft haben wir da unsere krude Weltsicht längst unser Handeln und unsere Gefühlswelt beeinflussen lassen. Seien Sie offen für Neues und gestehen Sie sich ein, dass Sie vieles nicht wissen und nur vom Hörensagen kennen.
- Sie investieren in Besitz, nicht in Erfahrungen. Diese Erfahrung (haha) haben wir ja alle gemacht: Überfüllte Schränke, aber eine innere Leere und Ausgebranntheit. Das hat natürlich auch mit den ganzen vorstehenden Punkten zu tun, aber es kommt etwas hinzu, das man leicht vergisst: Besitz veraltet und kann einem, aus welchen Gründen auch immer, wieder genommen werden. Damit ist Besitz eben nicht von „bleibendem Wert“. Zudem ist der meiste Besitz, den wir haben, Massenware, die wir eigentlich nie brauchen … und wenn doch, könnten wir uns von heute auf morgen Ersatz besorgen. Ganz anders sieht es mit einmaligen Erlebnissen und neuen Erkenntnissen und Erfahrungen aus. Die sind, wie gesagt, einmalig. Und niemand kann sie uns nehmen, wir können sie nur selbst gering schätzen und (fast) vergessen. Aber es sind diese Erfahrungen, die unser Leben zu etwas Besonderem machen. Ob es darum geht, eine Fähigkeit zu erlernen, etwas mit eigenen Händen zu erschaffen oder einen unvergesslichen Moment zu erleben und zu genießen – irgendwann nach dem Studium achten wir nicht mehr so sehr darauf. Und dann wird alles zum Alltag. Dabei waren die spontanen Trips beispielsweise nach Paris oder London während des Studiums mit die bleibendsten Erfahrungen, die ich hatte: ohne Geld, aber offen für alles, was uns begegnete. Heute versuchen wir alle gezielt, Zeit für Hobbys, Kurse, Reisen und mehr zu finden – damit das Sammeln neuer Erkenntnisse und Erfahrungen nicht zu etwas wird, über das man in der Vergangenheitsform spricht: „Damals, als wir noch …„