Leserpost von Birgit, in zwei Teilen. Die erste Mail war sehr kurz und allgemein:
Liebe Inge,
ich habe da eine Frage an euch: Wie geht ihr mit den ganzen Erinnerungsstücken um, die sich bei euch im Laufe der Zeit ansammeln? Bei mir kommen immer mehr Erinnerungsstücke zusammen, die ich nicht einfach weggeben möchte.
VG Birgit
Ich habe Birgit dann gebeten, mir zu sagen, um was für Erinnerungsstücke es sich handelt und warum die sich bei ihr anhäufen. Hier ein Auszug aus ihrer zweiten, längeren Mail:
[…] Das sind ganz unterschiedliche Dinge. Die Babyschuhe von unserem Sohn, da habe ich bestimmt die ersten zehn Paar oder so aufgehoben. Ganz viele „Gemälde“ und Basteleien, die unser Nachwuchs angefertigt hat. Urlaubserinnerungen, die jeder so vom Strand oder aus den Bergen mitnimmt. Und dann ganz viele Sachen von der Haushaltsauflösung nach dem Tod meiner Eltern, bis hin zur Kamerasammlung von meinem Vater. Das kann man ja alles nicht einfach wegwerfen, da hängen ja Erinnerungen dran und Werte drin. […]
Birgit hat noch mehr aufgezählt und berichtet, was sich in ihren Schränken und im Keller verbirgt und warum. Natürlich könnte ich es mir einfach machen und jetzt auf unseren Funktionstest verweisen: Was man nicht aktiv selbst nutzt und was keine Funktion hat, ist entbehrlich. Aber das wäre nicht fair, denn für Birgit haben viele dieser Gegenstände ja eine Funktion – sie dienen der Erinnerung.
Die Gegenstände sind nur Stellvertreter
Aber das ist aus meiner Sicht auch der Schlüssel, um sich dem Problem zu nähern: Wenn es sich eh „nur“ um Erinnerungsstücke handelt, dann sind es Stellvertreter. Und dann kann man einen Stellvertreter durch einen anderen ersetzen. Und oft stehen mehrere Gegenstände für die gleichen Erinnerungen … da bietet sich zusätzlich eine Reduktion an.
Um es konkret zu machen: Warum zehn Paar Babyschuhe aufbewahren? Da reicht vielleicht das erste Paar, wenn man sich nicht komplett davon trennen will. Die anderen (oder alle, schön in Reihe) kann man beispielsweise fotografieren und die Fotos davon taugen genauso als Erinnerung wie die Schuhe selbst. (Statt Fotos kann man natürlich beispielsweise auch die Umrisse abzeichnen und ein Kunstwerk gestalten.)
Niemand hat gewollt, dass etwas zur Last wird
Und bei den Sachen aus den Haushaltsauflösungen (wie auch bei Dingen, die man geschenkt bekommen hat oder gezielt erbt) sollte man sich immer fragen, wo der ursprüngliche Besitzer gewollt hätte, dass man die Sachen zu einer Art unantastbarem Museum macht. Niemand möchte einem durch ein Geschenk oder eine Hinterlassenschaft eine Last aufbürden. Und deshalb darf man sich auch hier ohne schlechtes Gewissen von Dingen trennen, sie verschenken und sogar zu Geld machen. Gerade, wenn etwas, wie eine Sammlung, vielleicht einen gewissen Wert hat, man sich selbst darum aber nicht kümmern kann, ist es besser, einen Liebhaber zu finden, der die Dinge wirklich haben möchte. Und auch hier kann man mit Fotos die Erinnerung bewahren.
Schließlich ist es bei Erinnerungsstücken, die einen selbst betreffen (Urlaubssouvenirs, Tickets, Karten & Reiseführer, alte Schulhefte, Liebesbriefe, Muscheln und Granitbrocken, getrocknete Blätter und Blüten, die erste Blockflöte und das Schwanensee-Kostüm … you name it) noch leichter: Man war ja dabei! Umso mehr reicht für das Abrufen der Erinnerungen ein kleiner Anstoß wie ein Foto.
Erinnerungen nicht nur im Bild, sondern auch schriftlich festhalten
Und schließlich noch eine Anregung: Auch Texte können Erinnerungen bewahren. Und sogar viel besser für andere transportieren als Gegenstände und Fotos. So kann es sehr befriedigend sein, die eigenen Erinnerungen schriftlich festzuhalten.
Daher mein Rat an Birgit: Vielleicht schreibst du zu den Fotos auf, was du besonders mit den Menschen und Situationen verbindest, für die diese Gegenstände standen.
Durch die Beschäftigung wird die Erinnerung noch vertieft. Und zumindest ich habe dabei immer wieder festgestellt, wie unwichtig die Gegenstände und wie wichtig die Erinnerung mir war. Danach konnte ich die Gegenstände dann viel leichter loslassen.
Deine Texte müssen nicht perfekt sein, es muss sie niemand anderes lesen. Aber vielleicht, nur vielleicht, bekommst du Lust, sie irgendwann deinem Nachwuchs zu geben: Schau mal, das war Opas Klavier. Und ich habe oft hinter ihm gestanden, wenn er …