Unser Leben besteht oft aus Routine. Man kann auch sagen: Alltag. Der ist nicht immer schön, aber (scheinbar) unvermeidbar. Ja, Abwechslung wäre nett, aber man hat viel zu selten Zeit dafür. Und so sparen wir uns eine Menge für „später“ auf.
Mein Vater hat früher immer nach dem Sommerurlaub auf den Winter gewartet, um die Urlaubsfotos und -videos zu sortieren. Aber im Winter fand sich dann auch selten Zeit dazu. Ich habe in meinen Schränken früher viele Sachen gehortet, die ich „später einmal“ nutzen wollte: Sprachkurse, Malsachen, angefangene (!) Strickmützen, Bücher, die ich nie fertig gelesen (und oft nicht mal angefangen) hatte, Sportgeräte … Aber auch das alles habe ich nie wirklich genutzt. Es lag eben nur rum und ich habe mir eingeredet, es später mal zu nutzen.
So weit, so traurig, denn häufig haben wir nicht nur Geld in die Sachen gesteckt, sondern auch damit Hoffnungen verbunden. Kleine und größere Hoffnungen auf ein wenig Abwechslung im Alltag.
Aber es geht noch weiter: Unsere langfristigen To-Do- und Wunschlisten sind voll von kleinen und größeren Träumen, von denen wir ganz genau wissen, dass wir sie uns nie erfüllen werden. Und diese Listen werden immer länger und länger – und sind eigentlich nur ein Beleg dafür, was wir uns alles nicht gegönnt haben. Ja, selbst die kleinen Freuden, die wir uns früher gegönnt haben, geraten oft in Vergessenheit.
Neulich wollte ich nach meiner Genesung die Mädels zu mir nach Hause einladen und fragte, ob ich etwas Bestimmtes kochen soll. Und dann kam der Wunsch nach „meinem tollen Chili con Carne“. Das mit der Schokolade in der Soße. Gerne doch.
Nur: Ich hatte keine Ahnung mehr, wie das Rezept eigentlich funktioniert. Ich habe es nämlich schon mindestens ein Jahr lang nicht mehr gekocht. Und noch schlimmer: Ich hätte mich vielleicht gar nicht daran erinnert, dass ich es überhaupt früher fast regelmäßig gekocht habe.
Zwar habe ich das Rezept jetzt wiedergefunden, aber diese Erkenntnis hat mich ein wenig innehalten lassen. Und dann sind mir immer mehr Sachen eingefallen, die ich eigentlich aus den Augen verloren habe. Für manches habe ich sogar spezielle Hilfsmittel angeschafft, aber sie irgendwann aus dem Blick verloren.
Und obwohl ich oft das Gefühl habe, dass ich mich schon von einer Menge unnötigem Kram in meinem Leben getrennt habe, finden sich dann doch immer wieder Sachen, für die ich bis dahin einen blinden Fleck hatte. Manchmal sind das ganz kleine, unscheinbare Sachen: Eine App, die ich mir für 1,99 Euro heruntergeladen habe und die ungenutzt seit 4 Monaten auf einer der hinteren Seiten des Smartphone-Bildschirms auf mich wartet. Die neuen Sportschuhe, die ich in der Freizeit anziehen wollte – letzten Sommer. Stattdessen ziehe ich immer noch die alten Treter an. Vielleicht wäre jetzt die passende Gelegenheit, zu wechseln?
All diese Beispiele sollten uns zu denken geben. Was haben Sie alles „für später“ in den Schrank oder den Keller verbannt? Was wäre eigentlich eine nette Abwechslung, die Sie sich aber viel zu lange nicht gegönnt haben? Was haben Sie schon fast vergessen, das Ihnen früher den Alltag ein wenig versüßt hat (wie ich mein Chili-Rezept)?
Sich nur etwas für später vorzunehmen, es demnächst mal zu tun – und dann doch wieder im Alltag zu versinken und es zu vergessen oder keine Zeit dafür zu finden ist typisch. Aber es ist auch entlarvend. Denn wir leben im JETZT, nicht in der Zukunft. Und alles, wofür wir uns JETZT (oder zumindest in den kommenden Wochen) keine Zeit nehmen – wirklich, bewusst und aktiv –, das gerät nicht nur ins Hintertreffen, sondern ist zudem auch eine emotionale Last, die wir mit uns herumschleppen.
Planen Sie nicht zu weit in die Zukunft: Leben Sie JETZT!