Vergangene Woche war ich zu Gast bei einer Bekannten, nennen wir sie hier Anna (nicht ihr richtiger Name). Nach ein wenig unverfänglichem Geplauder kam unser Gespräch darauf, dass sie ein Problem hat … oder vielmehr zwei.
Das eine kennen die meisten von euch: Ihr wächst machmal (und immer öfter) das Chaos über den Kopf. Also hat sie es mit einer Dinge-Diät versucht (ohne mein Wissen) – aber da kam Problem Nummer zwei ins Spiel: Sie schafft es nicht, sich längere Zeit einem Problembereich zu widmen, bis er „aufgeräumt“ ist.
Die Gründe dafür seien vielfältig, meinte Anna auf meine Nachfrage. Oft werde sie von irgendwem abgelenkt oder müsse sich dann schon wieder anderen Sachen widmen. Oder das Telefon klingelt oder sie hat noch einen Termin.
Auf meine Frage, wie lange sie sich denn Zeit nehme für ihre Dinge-Diät-Arbeitsphasen, war ihre Antwort ziemlich schwurbelig: eigentlich Open End, zumindest ein bis zwei Stunden brauche sie auf jeden Fall. „Sonst braucht man ja gar nicht anzufangen!“, war ihre Aussage.
Aber Anna deutete auch an, dass sie eigentlich nach 30 Minuten die Motivation verlassen würde. Das sagte sie zwar nicht so deutlich, aber ich konnte zwischen den Zeilen herauslesen, dass sie nach einer halben oder dreiviertel Stunde oft die Lust längst verloren hatte und dann jede Unterbrechung dazu nutzte, ihr Vorhaben abzubrechen.
Als ich den Verdacht äußerte, hat sie mich (zögernd) bestätigt. Irgendwann mache das alles dann keinen Spaß mehr und sie käme dann auch nicht weiter. Und dann müsse sie sich ja auch anderen Dingen widmen.
Ich denke, so wie Anna ergeht es vielen. Und ich glaube, dass das einfach eine Folge davon ist, dass man sich zu viel vornimmt. Denn Annas „sonst braucht man ja gar nicht anzufangen“ ist Blödsinn: Wenn sie nach 30 Minuten der Sache eh überdrüssig ist, wird sie in den folgenden 30 Minuten viel weniger bewegen als in den ersten!
Ich habe dann gesagt, sie solle doch eine 10-Minuten-Dinge-Diät ausprobieren. „Zehn Minuten? Da kann man doch gar nichts machen.“ Doch, kann man. Und ich habe sie gleich die Probe aufs Exempel machen lassen: 10 Minuten Zeitschriften, Zeitungen und Prospekte aussortieren, die sich neben dem Wohnzimmersofa stapelten. Und siehe da: Sie war ganz verblüfft, wie viel man in 10 Minuten machen kann.
Der Clou bei einer solchen 10-Minuten-Dinge-Diät:
- Das Ende ist nahe! Zwei Stunden können endlos erscheinen, aber sich 10 Minuten Zeit für etwas zu nehmen geht immer. Und wenn die Motivation mal nicht so gigantisch ist: Sich für 10 Minuten zusammenreißen geht immer. Für 2 Stunden? Das kann echt hart sein.
- Man sieht sofort ein Ergebnis: Instant Gratification nennt man das auch – man wird sofort für seine Mühe belohnt. Und weil einem 10 Minuten verdammt kurz vorkommen, ist auch die eigene Erwartungshaltung nicht so groß. Da freut man sich dann über jeden kleinen Fortschritt. Die 10 Minuten motivieren eher für mehr, während 120 Minuten eher demotivierend wirken.
- Wenn man Lust hat, kann man noch eine 10-Minuten-Session dranhängen. Und wenn man total motiviert ist, vielleicht auch ein paar. Wenn nicht, dann geht es ein anderes mal weiter. Auch nicht schlimm.
- Es hilft, sich wirklich kleine Aufgaben vorzunehmen und sich auch über kleine Fortschritte zu freuen. Denn eine Dinge-Diät ist ein Prozess, kein einmaliger Akt. Da hilft es gar nichts, wenn man sich zu viel vornimmt und dann enttäuscht ist und sich wie ein Versager fühlt. Dann lässt man es nämlich ewig schleifen.
Anna war total überrascht und hat sich vorgenommen, jeden Tag mindestens zwei solcher 10-Minuten-Sessions zu machen. Und das ist ganz einfach. Manchmal sortiere ich die Sachen, die sich auf dem Esstisch mal wieder angesammelt haben, während eines Telefonats. Oder ich sortiere eine Schublade ein wenig, wenn ich noch ein paar Minuten habe, bevor ich zu einem Termin muss: Das muss dann nicht perfekt fertig werden, aber ich weiß, dass ich wieder ein wenig dazu beigetragen habe, meine Ordnung zu halten.
Als ich nach dem Besuch bei Anna nach Hause kam, klingelte das Handy. Anna war dran und wollte mir nur berichten, dass sie total stolz auf sich sei: Sie habe eben Wäsche sortiert nachdem ich gegangen sei. Nicht alle Wäsche, die schon ewig rumliegt und nicht von selbst in den Schrank kriecht, sondern nur Unterwäsche. Aber jetzt, wo ich ihr das mit den 10 Minuten gesagt habe, habe sie kein schlechtes Gewissen mehr und sei stattdessen stolz auf sich.
So soll es sein!