Ich habe eine Theorie, warum sich in vielen Kleiderschränken so viele Klamotten ansammeln, die (fast) nie getragen werden: Wir bauen keine Beziehung zu den Stücken auf, weil sie uns massenhaft für kleines Geld nachgeschmissen werden. Je mehr Kleidungsstücke wir haben, desto seltener tragen wir einzelne Teile und entsprechend wenig Gelegenheit gibt es, eine Beziehung zu diesen Stück aufzubauen.
Kleidungsstücke, an denen wir emotional hängen, zu denen wir also eine „Beziehung“ haben, sind meist solche, die wir oft oder zu besonderen Gelegenheiten getragen haben: unsere alte Lieblingsjeans, die längst Verschleißerscheinungen zeigt, das T-Shirt von dem Besuch dieses tollen Konzerts (vor 13 Jahren) oder das Sommerkleid, das wir uns im Urlaub geleistet haben. Aber es gibt noch eine andere Art, eine besondere Beziehung zu Klamotten aufzubauen – nämlich indem man selbst Hand anlegt.
In meiner Kindheit hat meine Mutter noch geschneidert. Und in meiner Jugend habe ich T-Shirts und Hosen selbst „gepimpt“ und selbst Seidenschals bemalt. Irgendwann ist das alles in Vergessenheit geraten. Es war so einfach, sich ständig neue Sachen zu kaufen.
Aber in der letzten Zeit stelle ich fest, dass es wieder in ist, sich eigene Klamotten zu schneidern oder vorhandene zu ändern. Upcycling ist Trend: Aus alten, langweiligen Sachen etwas Neues, Einzigartiges machen. Und auch Stricken, Häckeln, Filzen etc. erfreut sich enormer Beliebtheit, selbst Männer entdecken, dass es eine besondere Befriedigung verschafft, Hand an die eigene Bekleidung zu legen.
Dabei geht es gar nicht um Perfektion, sondern darum, etwas Eigenes zu schaffen. Und so eine Beziehung zu dem Kleidungsstück aufzubauen. Vermutlich spielt auch eine Rolle, dass es eben mehr Zeit und Aufwand bedeutet, etwas selbst zu gestalten als einfach in den nächsten Laden zu gehen und innerhalb von 20 Minuten etwas zu kaufen, dass mindestens 20 andere Frauen im gleichen Ort auch kaufen.
Individualität ist Trumpf. Versuchen Sie es doch mal: Das fertige Ergebnis entstehen zu sehen, irgendwann in der Hand zu halten und dann auch zu tragen ist enorm befriedigend. Und aus Sicht der Dinge-Diät ist noch etwas interessant: Wenn man erst einmal bewusst erlebt, wie sich solch eine Beziehung zu einem Kleidungsstück entwickelt, merkt man plötzlich, wie beliebig der Kram von der Stange oft ist. Anschließend fällt nicht nur das Ausmisten leichter, sondern auch der Verzicht auf Neukäufe, weil die oft eben gerade nicht das halten, was man sich von ihnen emotional erhofft.